© Verein Deutscher Ingenieure, Beuth Verlag, Düsseldorf, Mai 2018
Durch elektronische Heizkostenverteiler (EHKV) wird systembedingt nicht die gesamte verbrauchte Primärenergie für Heizung einer Liegenschaft erfasst. Die VDI spricht hier vom „Verbrauchswärmeanteil“, auch bekannt als „Erfassungsrate“. Heizkostenverteiler werden am Heizkörper montiert und erfassen nur die dort abgegebene Wärme. Wärme, die von gar nicht oder schlecht gedämmten Rohrleitungen abgegeben wird, wird somit nicht gemessen. Dies gilt aber auch für alle Verluste in der Wärmeerzeugung und der Umwandlung, die analog auch bei einer Zweirohrheizung auftreten. Bei einer Einrohrheizung werden alle Heizkörper eines Strangs nur über ein Rohr versorgt. Das Heizmedium wird nach den Passieren des ersten Heizkörpers zum Nächsten geführt und erst am Ende des Stranges zurück zum Wärmerzeuger. Deshalb muss das Heizungswasser je nach Auslegung der Anlage ständig mit hoher Temperatur zirkulieren, z.B. auch wenn keines der Thermostatventile geöffnet hat. Wenn die Rohrleitungen nur unzureichend gedämmt sind, stammt ein erheblicher Anteil der Wärme einer Wohnung vom Rohrsystem. Diese Wärme trägt zur Versorgung des Gebäudes wesentlich bei, kann aber nicht gemessen werden. Allerdings entstehen auf der Erzeugungsseite nicht vernachlässigbare Kosten.
Der beschriebene Sachverhalt ist kein außergewöhnliches Phänomen und tritt häufiger sowohl in Objekten mit senkrechten (typisch DDR-Wohnblock) als auch waagerechten (d.h. innerhalb der Wohneinheit im Estrich verlegten) Einrohrheizungen auf. Nennenswerte Rohrwärmeabgabe kann jedoch auch bei Zweirohrheizungen entstehen, wenn Heizleitungen in beheizbaren Räumen unzureichend gedämmt sind und die Betriebsbedingungen ungünstig sind. Probleme treten dann auf, wenn eine Mehrheit der Nutzer im Wesentlichen nur mit der Rohrwärme leben kann (d. h. keine oder nur geringe Verbrauchswerte an den EHKV). Der Wärmeeintrag durch die Rohrwärme kann so stark sein, dass er z.B. im Schlafzimmer bewusst abgelüftet werden muss. Andere Nutzer die lagebedingt oder mit höherem Wärmebedarf Ihre Heizkörper aber betreiben, generieren im Vergleich wesentlich höhere Verbrauchswerte. Dies bedeutet, ein Teil der Nutzer profitiert stark von der Wärme, die über die Rohrleitungen abgegeben wird ohne entsprechende Anzeigen der EHKV. Die übrigen Nutzer mit Zählwerten tragen allerdings diese Kosten im Verbrauchsanteil der Abrechnung über einen hohen Preis je gemessener Verbrauchseinheit mit. Problematisch wird dies immer dann, wenn der Anteil der Rohrwärme wesentlich ist. Unklar war vor der VDI 2077, wann dies der Fall und wie zu verfahren ist.
Die bis 2009 gültige Heizkostenverordnung (HeizkV) bot keinerlei Basis für die Behandlung der Erscheinung. Seit 2002 haben sich Gerichte mehrfach mit der Problematik beschäftigt und sind zu teilweise konträren Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen gelangt. Durch den Verein Deutscher Ingenieure (VDI) wurde ein Verfahren entwickelt, um in solchen Fällen die Heizkosten gerechter verteilen zu können. Seit dem 01.03.2009 gibt das „Beiblatt Rohrwärme zur VDI 2077“ den sachlichen Rahmen zur Behandlung dieser Problematik. Die ab 01.01.2009 gültige, novellierte HeizkV gibt im § 7 Abs. (1) Satz 3 die rechtliche Ermächtigung zur Anwendung des VDI-Verfahrens. In einer überraschenden Entscheidung des BGH (VIII ZR 5/16 vom 15.03.2017) wurde allerdings entschieden, dass die VDI auf nicht freiliegende Leitungen nicht anwendbar ist. Damit kann das Verfahren auf waagerechte Einrohrheizungen seitdem nicht mehr angewendet werden, obwohl die Problematik (Die VDI spricht von Verzerrung!) in gleichem Maße wie in senkrechten Einrohrheizungen auftreten kann.
Das Verfahren wurde seit 2009 in tausenden Wohneinheiten, vorrangig in sogenannten „DDR-Wohnblöcken“ angewendet. Die VDI bietet einen Kriterienkatalog auf der Basis der Kennwerte mit dem die Problematik in jedem Objekt bewertet wird und gibt eine Korrekturempfehlung. Die Entscheidung, ob diese angewendet werden soll, liegt nach HeizkV allerdings beim jeweiligen Eigentümer einer Liegenschaft. Der Messdienst kann das Verfahren nur nach entsprechendem Auftrag anwenden. Das Verfahren wurde im Jahre 2018 überarbeitet und im Blatt 3.5 der Richtlinienreihe VDI 2077 neu gefasst. Dabei hat sich das Grundprinzip der Beurteilung als auch das Korrekturverfahren auf der Basis des Rohrwärmeanteiles nicht geändert. Lediglich die weiteren Kriterien zur Beurteilung, ob eine Anlage kritisch und damit die Abrechnung korrekturwürdig ist, wurden teilweise überarbeitet.
Im aktuellen Blatt 3.5 werden letztlich 3 Kriterien zur Beurteilung einer Heizkostenabrechnung aufgestellt. Erst wenn alle 3 Kriterien erfüllt sind, wird ein wesentlicher Rohrwärmefall erkannt und eine Korrektur empfohlen. Die Berechnungen sind anspruchsvoll und können nur anhand der Verbrauchsdaten der EHKV aller Nutzer erfolgen.
ROHMA scannt seit langem alle Abrechnungen in dieser Hinsicht und wird die Eigentümer im Verdachtsfall sofort informieren. Damit kann die notwendige Entscheidung noch vor Abschluss der Abrechnung getroffen werden. Neben den abrechnungstechnischen Empfehlungen sind in der VDI 2077 auch heizungsseitige Optimierungsmaßnahmen dokumentiert. Durch relativ einfache Maßnahmen, wie
- Verbesserung der Isolation des Rohrnetzes,
- Einsatz von elektronisch geregelten Pumpen,
- hydraulischem Abgleich und
- Absenkung der Vorlauftemperaturen
lassen sich Potentiale zur Verminderung der Rohrwärmeabgabe und damit zum Einsparen von Energie und Heizkosten erzielen. ROHMA bietet Ihnen diesbezüglich gern kompetente Beratung an! Der nach HeizkV § 9 seit 31.12.2013 notwendige Einbau eines Wärmezählers zur Messung der Energie für die Warmwasseraufbereitung bringt eine Verbesserung der Nachvollziehbarkeit der Energiebilanz und der Verbrauchswärmeanteil verändert sich häufig in Richtung „unkritische“ Werte.
Für jeden Nutzer werden zusätzliche Verbrauchseinheiten für die vorher berechnete gesamte Rohrwärmemenge der Liegenschaft anteilig seiner Heizfläche ermittelt. Diese werden in der Heizkostenabrechnung in Form eines „Rohrwärmeheizkörpers“ ausgewiesen. Da die Gesamtsumme der Verbrauchseinheiten steigt, sinken die Kosten pro gemessene Verbrauchseinheit auf ein normales Maß. Für das gesamte Gebäude bleiben die Heizkosten jedoch gleich.
Das Rohrwärmekorrekturverfahren nach VDI 2077 stellt somit sicher, dass die erzeugte Wärme in dem betroffenen Gebäude gerechter nach tatsächlicher Nutzung verteilt wird. Bei Vorliegen eines niedrigen Verbrauchswärmeanteils ist es gemäß VDI 2077 grundsätzlich sinnvoll den Abrechnungsschlüssel 50/50 zu verwenden, auch wenn die Kriterien der VDI nicht ganz erreicht werden. Laut § 6 Abs. (4) der HeizkV 2009 hat der Eigentümer die Möglichkeit den Abrechnungsmaßstab für zukünftige Abrechnungszeiträume zu ändern, wenn sachgerechte Gründe dies erfordern.
Die Nutzer, die bisher deshalb einen niedrigen Verbrauch am Heizkostenverteiler verzeichnet haben, weil sie von der Nichterfassung der Rohrwärmeabgabe profitiert haben, werden an der Rohrwärmeabgabe stärker beteiligt und müssen etwas höhere Heizkosten zahlen. Nutzer mit einem über dem Durchschnitt liegendem Verbrauch werden dagegen entlastet. Der Mieterbund fordert die Anwendung des Verfahrens im Interesse einer gerechteren Heizkostenabrechnung ausdrücklich.